Hard Facts
Die PRO-GE verhandelt jährlich über 100 Kollektivverträge, die für eine halbe Million Beschäftigte gelten. Zur Drucklegung dieses Arbeitsprogrammes lag der niedrigste Mindestlohn in 73 unserer Kollektivverträge über 1.700 Euro und in 26 Kollektivverträgen über 2.000 Euro pro Monat.
Kollektivvertragsarbeit ist Gewerkschaftsarbeit auf den Punkt gebracht. Hier ist das, was Gewerkschaftsarbeit ausmacht, am deutlichsten spürbar: Die unterschiedlichen Interessen zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen und die Kraft der Solidarität, die uns überhaupt erst in die Lage versetzt, Interessen wirksam vertreten zu können.
Kollektivverträge verhandeln sich nicht von selbst. Wir brauchen dafür engagierte Menschen, Grundsätze, feste Überzeugung, gute Strategien, klare Ziele, Macht und ausreichend Kompetenz. Kollektivvertragsarbeit ist ein Prozess des Zusammenwirkens Vieler und nicht das Werk Einzelner. Sie soll Freude machen, hat Sinn und für die Arbeitnehmer:innen großen Nutzen.
Wir als PRO-GE schließen jährlich über 100 Kollektivverträge ab und jeder einzelne davon ist wichtig. Unsere Kollektivverträge spiegeln die Vielfalt unserer Branchen wider. Wir finden unterschiedliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen vor, haben nicht überall die gleiche Durchsetzungsfähigkeit und auch die Probleme und Anliegen unserer Mitglieder sind nicht überall dieselben. Wir begreifen diese Vielfalt allerdings nicht als Problem, sondern als Bereicherung.
Unsere Mitglieder haben gemeinsame, kollektive Interessen, aber auch viele individuelle Bedürfnisse. Mit kollektiver Interessenvertretung gelingt es uns, die Brücke zwischen diesen Polen zu schlagen, am Ende steht das persönliche Wohlergehen aller. Regelmäßig begegnen wir auch den Bedürfnissen der Angestellten in unseren Betrieben, die sich nicht immer mit denen unserer Mitglieder decken. Das führt zu Widersprüchen und Herausforderungen, trotzdem halten wir gemeinsame Verhandlungen für richtig.
Kollektivvertragsarbeit findet unter sich ständig wandelnden Bedingungen statt. Die Bedürfnisse unserer Kolleg:innen ändern sich, neue Technologien wirken sich auf die Arbeitsorganisation aus, die Digitalisierung schreitet voran, ökologische Themen gewinnen an Bedeutung. Wir müssen unsere Arbeit daher regelmäßig weiterentwickeln.
Mit unseren (richtigen und wichtigen) Erfolgen steigen die Bestrebungen der Arbeitgeber:innen, aus den Kollektivverträgen auszuscheren. Ausgliederungen (Reinigung, Logistik etc.), Verlagerungen (ins billigere Ausland), Fremdvergaben (Lohnfertiger, Sublieferanten), Flucht in billigere Gewerbe- oder Dienstleistungs-Kollektivverträge, massive Beschäftigung überlassener Arbeitnehmer:innen und das Ausweichen in Angestellten-Kollektivverträge werden umso attraktiver, je größer die Unterschiede zwischen den Kollektivverträgen sind. Die Antwort darauf kann nicht darin bestehen, in Zukunft schlechtere Kollektivverträge abzuschließen, sondern nur darin, die Flucht aus guten Kollektivverträgen zu erschweren – mit geeigneten rechtlichen Mitteln, aber auch mit gewerkschaftlichem Engagement.
Für viele unserer Mitglieder ist es selbstverständlich, dass wir jährlich einen neuen Kollektivvertrag abschließen und damit Lohnerhöhungen und arbeitsrechtliche Verbesserungen verbunden sind. Aktuell sehen wir mit der massiven Inflation auf dramatische Weise, wie schnell sich die Umstände völlig unvorhergesehen ändern können und wie wichtig jährliches Reagieren-Können ist. Jährliche Lohnrunden bieten uns den Vorteil, Beständigkeit und Aktualität zu verbinden sowie unsere Entgeltsysteme selbst zu gestalten, ohne dabei von parlamentarischen Mehrheiten oder der Regierung abhängig zu sein. Niemand weiß über unsere unterschiedlichen Branchen und branchenspezifische Bedürfnisse besser Bescheid als wir als Betriebsrät:innen und Gewerkschafter:innen.
Wir brauchen für unsere Kollektivverträge Partner:innen als Gegenüber. Viele Arbeitgeber:innen schätzen die Stabilität, die Kollektivverträge mit sich bringen, den sozialen Frieden, die Wettbewerbsneutralität im Inland und die Ordnungs- und Orientierungsfunktion. Klar ist aber auch, dass sie kurz- und mittelfristig eher auf Kollektivverträge verzichten können als wir. Dahinter steht meist die Vorstellung, dass die Durchsetzung von Interessen auf der betrieblichen Ebene oder gegenüber den einzelnen Arbeitnehmer:innen einfacher geht als gegenüber den Gewerkschaften. Genau aus diesem Grund organisieren wir uns als Gewerkschaften und halten mit der Macht der Vielen dagegen.
Unsere Forderungen an die Politik:
- Kraft und Engagement in der Kollektivvertragsarbeit reichen allein nicht aus. Wir benötigen auch entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. Dazu gehört eine erleichterte Möglichkeit, bestehende Kollektivverträge auf Bereiche, in denen bis dato noch kein Kollektivvertrag gilt, zu erstrecken (zB über eine sogenannte „Satzung“ des Kollektivvertrags).
- Um die Flucht aus den „guten“ Kollektivverträgen zu verhindern, muss die Zuordnung von Betrieben zum jeweiligen Fachverband bzw. den jeweiligen Innungen unter Einbeziehung der Sozialpartner überprüft und gerichtlich durchgesetzt werden können.
- Verbesserte gesetzliche Bestimmungen zum Einkommensbericht und mehr Lohntransparenz als Beitrag, das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche/gleichwertige Arbeit“ auf betrieblicher Ebene besser durchzusetzen.
- Wir lehnen jeden Eingriff in die Kollektivvertragsautonomie der Sozialpartner ab. Dies gilt insbesondere für die von manchen Politiker:innen propagierte Idee eines gesetzlichen Mindestlohns.
Unsere Ziele:
- Wir wollen, dass alle von unserer Gewerkschaft vertretenen Kolleg:innen einem Kollektivvertrag unterliegen. Noch vorhandene Lücken müssen wir schließen.
- Nach der erfolgreichen Umsetzung des Mindestlohns von 1.500 Euro und dem Etappenziel von 1.700 Euro streben wir als nächstes einen Mindestlohn von 2.000 Euro an.
- Wir streben auch in Zukunft größtmögliche Geltungsbereiche unserer Kollektivverträge – insbesondere Branchenkollektivverträge auf Bundesebene – an.
- Wir lehnen jede Aushöhlung unserer Kollektivverträge und die Verlagerung ihrer zentralen Inhalte (Zeit und Geld) auf die betriebliche/einzelvertragliche Ebene entschieden ab.
Was wir als PRO-GE tun können:
- Kollektivvertragsarbeit muss für die Beschäftigten in den Betrieben erlebbar sein. Gute Kollektivverträge sind nicht die Dienstleistung für die Mitgliedsbeiträge, sondern das Produkt des gemeinsamen Engagements der Beschäftigten, ihrer Betriebsrät:innen und uns als ihrer Gewerkschaft. Wir machen Kollektivvertragsarbeit nicht nur für, sondern mit den Kolleg:innen in den Betrieben. Das macht stolz, selbstbewusst und stark. In diesem Sinn entwickeln wir unsere Verhandlungsprozesse weiter.
- Für gute Kollektivvertrags-Arbeit brauchen wir Räume und Zeit: Um zuzuhören, was den Beschäftigten wichtig ist. Um nachzudenken, wie wir diese Bedürfnisse decken können. Um uns auszutauschen, voneinander zu lernen, uns und unsere Fähigkeiten weiterzuentwickeln.
- Wir brauchen und haben klare Grundsätze, an denen wir uns orientieren, Visionen und ein Gefühl für das Machbare. Wir handeln auf Basis fundierter Analysen und Fakten, aber vor allem mit viel Herz und Nähe zu den Menschen, um die es geht. Wir wollen konzeptionelle Fähigkeiten mit unserer Kernkompetenzen – dem Wissen, wie es den Menschen wirklich geht – kombinieren. Expertise ohne Abgehobenheit. Echte und keine konstruierten Probleme lösen.
- Die Vielfalt an Branchen innerhalb unserer Gewerkschaft, ihre unterschiedlichen Voraussetzungen, unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Organisationsdichte machen nicht nur unser Wesen aus – sie stellen uns auch vor Herausforderungen. Wir wollen uns verstärkt der Solidarität in den eigenen Reihen widmen und unsere Leitfunktion der starken Branchen verantwortungsvoll wahrnehmen.
4.1. Die Sozialpartnerschaft
Es ist wohl keine Übertreibung zu sagen, dass die Sozialpartnerschaft ein Teil der österreichischen Identität ist. Sie hat einen wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden geleistet, war in schwierigen Zeiten ein Garant für Stabilität und hatte entscheidenden Anteil am Aufstieg Österreichs zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt.
Fact Box: Wer sind die Sozialpartner?
Die Sozialpartnerschaft in Österreich umfasst auf Bundesebene vier Verbände: auf Arbeitgeber:innenseite die Wirtschaftskammer und die Landwirtschaftskammer Österreich, auf der Arbeitnehmer:innenseite die Arbeiterkammer und den Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB).
Diese vier großen Interessenverbände sind nicht bloß Kollektivvertragspartner und Lobbyorganisationen für ihre Mitglieder, sondern sie sind in vielfältiger Weise im politischen System Österreichs verankert (Gesetzgebung, Sozialversicherung, Gerichtsbarkeit, Arbeitsmarktpolitik, berufliche Bildung etc.)
Diese Zusammenarbeit war eine Grundvoraussetzung für den Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg und bildet die Basis für das weitere wirtschaftliche Wachstum und für sozialen Frieden. Der Interessenausgleich der Sozialpartner am runden Tisch und ihre Kompromissfähigkeit waren in der Vergangenheit oft wesentlich für politische Lösungen.
Die Stärke einer gut funktionierenden Sozialpartnerschaft besteht auch in ihrer Fähigkeit, rasch Kompetenz bündeln zu können und in schwierigen Situationen für alle tragfähige Lösungen zu finden. Aktuell wird allerdings manchmal ein Bild gezeichnet, in dem Sozialpartnerschaft, ihre Einbeziehung und insbesondere ihre Kompromissstrategien als undemokratisch, illegitim, fast schon anrüchig abgetan werden. Das verkennt nicht nur das breite Vertretungsmandat der Sozialpartner (man denke allein an die Arbeiterkammer mit ihren 3,8 Mio. Mitgliedern!), sondern zeigt, dass ein politischer Interessenausgleich von treibenden Kräften in dieser Republik nicht (mehr) erwünscht ist.
Der gemeinsame Weg ist in den vergangenen Jahren immer wieder verlassen worden, was entsprechende Brüche bewirkt hat. Besonders dann, wenn ein Sozialpartner meint, aufgrund geänderter politischer Machtverhältnisse vom Alleingang mehr zu profitieren.
Sozialpartnerschaft löst die grundlegenden Interessensgegensätze nicht, aber sie kultiviert die Art und Weise, wie Konflikte ausgetragen werden. Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern, getroffene Kompromisse, müssen „halten“, nach innen wie nach außen. Hier entstehen naturgemäß Spannungen.
Gleichzeitig muss uns bewusst sein, dass Sozialpartnerschaft nicht Selbstzweck ist, sondern ein Werkzeug, um einen Interessenausgleich in den Arbeitsbeziehungen zu schaffen. Wir als Gewerkschaft müssen daher unsere Rolle auch abseits der Sozialpartnerschaft neu definieren. Wir sind eine Kampforganisation, bevor wir kämpfen, reden wir aber.
Das fordern wir von der Politik:
- Macht, Interessenausgleich und Kompromiss sind zentrale Element einer Demokratie. Wir stellen den Anspruch, dass die Sozialpartner die Zukunft mitgestalten und nicht einfach die Auswirkungen „verwalten“. Das bedingt auch die Einbindung der Arbeitnehmer:innen in zentrale Gesellschaftsbereiche (Sozialversicherung, Gerichtsbarkeit etc.).
- Die Expertise der Sozialpartner, ihre Legitimation und ihre Fähigkeit zum sachgerechten Interessenausgleich anerkennen und nutzen.
- Die Unabhängigkeit der Sozialpartner vom Staat respektieren.
Was können wir selbst tun:
- Eine moderne, zukunftsfähige Sozialpartnerschaft muss in der Lage sein, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen (Klimakrise, Demografie, Verteilungsfragen etc.). Entsprechend muss sich auch die Sozialpartnerschaft an die sich ändernde Welt anpassen.
- Themen benennen, gesprächsbereit sein, Streben nach neuen gemeinsamen Lösungen – das geht, solange der Sozialpartner mittut. Wir können aber auch anders, wenn der Weg verlassen wird.
- Sozialpartnerschaft realistisch betrachten und sehen, wo die Grenzen liegen.
- Selbst stark genug sein, um eine wichtige Rolle einnehmen zu können.