15. Internationales

Europa – wo bleibt die soziale Dimension? In den multiplen globalen Krisen spielt auch die EU eine starke Rolle und ihre Ausrichtung und zukünftige Politik stehen auf dem Prüfstand. Die Austeritätspolitik, mit der noch vor einigen Jahren in der „Eurokrise“ (ausgehend von Griechenland) agiert wurde, scheint der Vergangenheit anzugehören. Gleichzeitig setzt die EU weiterhin auf neoliberale Markt- und Wettbewerbsmechanismen und ist damit nicht in der Lage, den immer größer werdenden Problemen und Herausforderungen adäquat zu begegnen. Die Vorstellung, noch immer alles über den „Markt“ zu lösen, können wir gesichert als gescheitert ansehen. Die soziale Dimension europäischer Politik vermissen wir bis heute.

Die EU hat erkannt, dass der strategischen Autonomie Europas eine grundlegende Bedeutung zukommt – im Bereich Sicherheit, Energie, Landwirtschaft, aber auch der Industrie. Die Verwerfungen durch die Corona-Pandemie, aber auch die Notwendigkeiten, die EU klimafit zu machen, haben zu einem neuen Fokus auf „regionale“ Produktion von strategischen Technologien und einer Drosselung der Importabhängigkeit geführt. Wenn es um den Handel geht, sollte die EU ihr Recht wahren, soziale und ökologische Fragen zu regulieren, das Nachhaltigkeitskapitel in EU-Handelsabkommen sehen wir hier als Fortschritt.

Europa nimmt massiv Geld in die Hand, um diverse „Krisen“ zu bewältigen und Arbeitsplätze zu sichern (Pandemie: Impfstoffentwicklung; Kurzarbeitsregelungen), das Aussetzen des Stabilitäts- und Wirtschaftspakts seit der Pandemie und die außerordentlichen Finanzmittel (RRF) für die Bewältigung der Pandemie waren wegweisend. Wir befürchten jedoch, dass dieses „Fenster“ sich schließen wird und die EU zu ihrer alten Tradition einengender, völlig übertriebener Budgetregeln zurückkehrt. Dabei wäre es essenziell für die Mitgliedstaaten, weiterhin viel Geld für progressive Zukunftsinvestitionen in die Hand zu nehmen, insbesondere im Zusammenhang mit der ökologischen Transformation und der Abwendung der Klimakrise (bzw. für den Umgang mit den bereits eingetretenen Auswirkungen der Klimakrise).

Internationale Kampagnen zur Durchsetzung von Arbeitnehmer:innenrechten entlang der Lieferkette
Zahlreiche Krisen untergraben weltweit die Rechte von Arbeitnehmer:innen. Die PRO-GE hat stets in die Welt geblickt und sich mit Kolleg:innen weltweit solidarisiert und sie in ihren Kämpfen unterstützt – und wird das auch weiterhin tun.

Die jüngsten Kampagnen sind:

  • Unterstützung der IndustriALL Global und industriAll Europe Kampagnen Belarus – Verhaftung und Unterdrückung der unabhängigen Gewerkschaften (REP Radio- und Elektronikarbeiter; SPM Freie Metallarbeitergewerkschaft).
  • Unterstützung von IndustriALL Global Myanmar – Aufforderung an ausländische Investor:innen und Regierungen,  nicht in Myanmar zu investieren.

Einen wichtigen Beitrag zur Durchsetzung von Arbeitnehmer:innenrechten entlang der Lieferketten können Betriebsräte leisten. Zu diesem Zweck sind die Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte der Betriebsräte in wirtschaftlichen Angelegenheiten (§§ 108 f ArbVG) zu erweitern. Dem Betriebsrat ist Einsicht in die Verträge mit allen Vertragspartner:innen entlang der Lieferkette zu gewähren, zudem ist von den Unternehmensleitungen ein Risikokonzept über die Lieferketten zu erstellen. Erachtet der Betriebsrat dieses Risikokonzept für ungeeignet oder sind die Risiken zu hoch, kann ein Einspruch gegen die Wirtschaftsführung erhoben und die staatliche Wirtschaftskommission angerufen werden. Werden entlang der Lieferkette die Kernarbeitsnormen nicht eingehalten, sind die Verträge mit den betreffenden Vertragspartner:innen aufzukündigen. Der Betriebsrat kann die Aufkündigung solcher Verträge beim Arbeits- und Sozialgericht einklagen.

Gemeinsame globale Forderungen
Grundlegende Arbeitnehmer:innen-Rechte müssen weltweit gewährt werden, das beinhaltet auch die vollständige Umsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen (vor allem ILO-Konvention Nr. 87 – Vereinigungsfreiheit und Nr. 98 – freie Kollektivvertragsverhandlungen). Die weltweite Einhaltung der Kernarbeitsnormen muss vor österreichischen Gerichten einklagbar sein.

Zu diesen globalen Rechten zählen:

  • Durchsetzung von Kollektivverträgen für bessere Arbeitsbedingungen, angemessene Löhne und soziale Absicherung
  • Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht (Due Diligence).
  • Gleichstellung der Geschlechter.
  • Globale Solidarität gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, durch Handels- und Konzernstrategien europäischer Unternehmen bzw. der EU-Agrarhandelspolitik bedingte bzw. (mit) bedingte Fluchtursachen aufzeigen und Solidarität erzeugen.
  • Ernährungs- und Energiesicherheit, um einen nachhaltigen Zugang zu Grundbedürfnissen zu erschwinglichen Kosten zu gewährleisten.
  •  Sozialer Dialog, der es Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innen ermöglicht, sich an der Ausgestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik ihres Landes zu beteiligen.

Gegen gewerkschaftsfreie Produktionszonen (Westbalkan, Ukraine)
Seit den 1990er-Jahren erschließen Konzerne die Länder am Westbalkan (Albanien, Nordmazedonien, Serbien) und die Ukraine als Markt. Die neoliberale Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahrzehnte hat dazu geführt, dass insbesondere Serbien ausländische Investor:innen durch niedrige Lohnstückkosten und steuerliche Vergünstigungen ins Land lockt. Die arbeitsrechtlichen Vorschriften lassen viel Spielraum und die Rechtsdurchsetzung ist äußerst schwierig. Auch in der Ukraine wurde eine Deregulierung des Arbeitsrechts beschlossen und es ist zu befürchten, dass auch nach Beendigung des Kriegsrechts keine Tarifverträge mehr gelten.

Gleichzeitig gibt es in diesen Ländern keine Betriebsräte und nur sehr schwache Gewerkschaftsstrukturen. Als Betriebsräte in österreichischen Konzernniederlassungen und Mitglieder in den Eurobetriebsräten sehen wir es als unsere Aufgabe, uns auch für die konzernweite Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards sowie Gewerkschaftsrechten einzusetzen. Als Richtschnur müssen dabei die hohen Standards in westlichen Ländern gelten.

Was Betriebsräte in österreichischen Unternehmen und Mitglieder in Europäischen Betriebsräten tun können:

  • Motive für Restrukturierung erfahren (Kostenersparnis, Erschließung neuer Märkte, Angebot an Fachkräften) und Konzernverantwortung entlang ihrer Liefer- und Auftragsketten einfordern.
  • Förderung des sozialen Dialogs vor Ort, insbesondere kein Vorgehen gegen die Gründung von Betriebsgewerkschaften und Zusammenarbeit mit lokaler Belegschaftsvertretung und Unterstützung beim Aufbau einer Betriebsgewerkschaft.

Beschäftigte und Belegschaftsvertreter:innen aus diesen Ländern vergleichen ihre Situation häufig mit den Arbeitsbedingungen und Löhnen, die in Österreich bereits erreicht wurden. Insofern kann ein Betriebsrat als Informationsdrehscheibe dienen, aber auch durch die Nähe zum zentralen Management dazu beitragen, Verbesserungen zu erreichen. Gemeinsame Standards kommen auch dem Konzern zugute.