2. Unser Leben – Unsere Zukunft

Wir kämpfen! Seit unserem letzten Gewerkschaftstag haben sich unser Umfeld und unsere Arbeitswelt verändert – leider nicht gerade zum Positiven. Die Regierungsparteien auf Bundesebene haben durch zahlreiche Maßnahmen (z.B. in den zentralen Bereichen Arbeitszeit, Arbeitsmarkt und Sozialversicherung) oder durch schlichtes untätiges Aussitzen (z.B. im Kampf gegen die Teuerung oder Klimakrise) großen Schaden für uns Arbeitnehmer:innen angerichtet. Schlimmer noch: Sie haben viel an Vertrauen zerstört. Vertrauen in staatliche Institutionen, in politische Prozesse und damit Vertrauen in die Demokratie an sich.

Nahezu alle Sphären scheinen vom Verdacht auf Korruption und Machtmissbrauch in den unterschiedlichsten Ausformungen betroffen. Untersuchungen zeigen uns ein bestürzendes Bild: Gerade Arbeiter:innen haben in hohem Maße das Empfinden und die Erfahrung, dass das demokratische System ihnen gegenüber seine zentralen Versprechen nicht (mehr) einhält. Sie fühlen sich als „Menschen zweiter Klasse“, nicht im Parlament vertreten und sehen kaum Möglichkeiten, durch politische Beteiligung etwas bewirken zu können. Ganz besonders betrifft das die immer größer werdende Anzahl unserer Kolleg:innen, die nicht wahlberechtigt sind.

Als Gewerkschafter:innen, Betriebsrät:innen, Jugendvertrauensrät:innen und Behindertenvertrauenspersonen sehen wir diesen Vertrauensverlust in unsere Demokratie und den Ausschluss vieler unserer Mitglieder vom Wahlrecht mit großer Sorge, denn wir sind als Träger:innen der betrieblichen Mitbestimmung immer auch leidenschaftliche Kämpfer:innen für die Demokratie an sich. Dort, wo wir selbst gestalten können, scheint es zu gelingen: Gerade den Interessenvertretungen der Arbeitnehmer:innenschaft wird in der Bevölkerung ein hohes und steigendes Vertrauen entgegengebracht. Auch die Sozialpartnerschaft gewinnt wieder an Gestaltungskraft.

Wir kämpfen weiter! „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen“, formulierten Karl Marx und Friedrich Engels vor gut 150 Jahren – es war die Zeit der intensiven Industrialisierung und des ungezügelten Kapitalismus; die Zeit, in der die soziale Frage aufgeworfen und Gewerkschaften in der uns vertrauten Form entstanden sind. Seither sind wir als Gewerkschaft zentrale Akteurin im Interessensgegensatz zwischen Arbeit und Kapital sowie verlässlichste Vertreterin der Interessen der arbeitenden Menschen. Dessen sind wir uns bewusst. Wir sind stolz auf unsere Erfolge der Vergangenheit, wissen um die Herausforderungen, die vor uns liegen und sind bereit, aus Fehlern zu lernen.

Die Welt, in der wir leben, ist kapitalistisch organisiert und es ist eine unbestrittene Eigenart des Kapitalismus, immer wieder und in zunehmend kürzeren Abständen Krisen zu durchlaufen – auch diese Analyse ist seit weit über einem Jahrhundert gültig. Wie mit diesen Krisen umgegangen wird, ist jedoch nicht naturgesetzlich vorbestimmt, sondern Ergebnis politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Durch die aktuellen Machtverhältnisse verschiebt sich mit jeder Krise das Ungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeitenden ein Stück weiter zu unseren Ungunsten. Das bedeutet konkret: Während die Krisenauslöser „gerettet“ und subventioniert werden (Banken, Finanzmärkte und „systemrelevante“ Unternehmen), müssen wir, die Vielen, die Krisenkosten jedes Mal auf’s Neue bezahlen. Dazu kommt, dass all die aufeinanderfolgenden Krisen auch als Vorwand zum Abbau demokratischer Rechte und des Sozialstaats verwendet werden. Bestehende Ungleichheiten verschärfen sich dadurch und das weitere Auseinandertriften von Arm und Reich, von Arbeit und Vermögen sind die Folge.

Die Corona-Pandemie hat uns auch allen vor Augen geführt, wie wichtige starke öffentliche Versorgungsstrukturen sowie unser gut ausgebautes Gesundheitssystem sind und dass beides nicht über den Markt organisiert werden kann. Es ist klar zutage getreten, dass weltweite Lieferketten zerbrechlich und damit nicht verlässlich sind. Wir haben gesehen, dass nur ein Staat in Krisensituationen handlungsfähig bleibt, der über funktionierende Institutionen verfügt und es schafft, alle gesellschaftlichen Gruppen einzubinden. Nichts davon hat uns überrascht – es waren die Vorkämpfer:innen des schlanken Staates und der Globalisierungsexzesse, deren Weltbild in Bedrängnis geraten ist.

In der aktuellen Teuerungswelle tritt das Versagen der liberalisierten Energie- und Wohnungsmärkte mit einer Wucht zutage, die den Lebensstandard unserer Kolleg:innen bedroht oder sie gar in die Armut drängt. Unsere Gegenrezepte sind ein starker und umfassend ausgebauter, armutsfester Sozialstaat für alle Menschen in diesem Land, gute Kollektivvertragsabschlüsse sowie Marktordnungen, die Gier und Verantwortungslosigkeit nicht fördern und belohnen, sondern vermeiden und bestrafen.

Wir haben es in der Hand! Das Ziel unseres politischen Handelns ist mehr Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Wir sind davon überzeugt, dass WIR imstande sind, für die bestehenden und kommenden Herausforderungen die richtigen Strategien zu entwickeln. Die Produktionsgewerkschaft vereint zehntausende Arbeiter:innen, Lehrlinge und Pensionist:innen sowie tausende engagierte Betriebsrät:innen, Jugendvertrauensrät:innen und Behindertenvertrauenspersonen. Wir sind daher den bestehenden Verhältnissen nicht ohnmächtig ausgeliefert, sondern können mit der Kraft und Kreativität unserer Mitglieder vieles zum Besseren wenden.

Wir lernen aus Erfolgen: Jedes neu gewonnene Mitglied, jeder erstmalig organisierte Betrieb, jeder gelungene KV-Abschluss und jede durchgesetzte Verbesserung auf betrieblicher Ebene ist ein Erfolg! Wir sollten aber auch aus unseren Niederlagen lernen: Es ist uns beispielsweise nicht gelungen, unsere Sozialversicherung zu verteidigen.

Nichts ist für immer. Was von Menschen so gemacht wurde, kann von Menschen auch anders gemacht werden. Unsere Arbeitswelt und unsere Gesellschaft befinden sich im Umbruch: Trotz annähernder Vollbeschäftigung steigt der Arbeitsdruck und Arbeitsbedingungen verschlechtern sich, unsichere Arbeitsverhältnisse nehmen zu und wir sehen die Spaltung von Belegschaften an verschiedenen Bruchlinien.

Wir Arbeiter:innen wollen das ändern, unser Ziel sind bessere Arbeits- und Lebensverhältnisse.

Mit dem Arbeitsprogramm 2023–2028 möchten wir uns als Gewerkschaft gemeinsam mit unseren Mitgliedern gezielt mit den Aufgaben der nächsten fünf Jahre auseinandersetzen und uns trauen, Utopien zu denken, Alternativen zu formulieren und diese durchzusetzen.

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