7. Kampf gegen Arbeitsausbeutung und Lohndumping

Zerbricht unser Arbeitsmarkt? Unregelmäßige Beschäftigung, Saisonbeschäftigung, geringe Teilzeit, Befristungen, Arbeitskräfteüberlassung, Beschäftigung in Niedriglohnsektoren: Über 1,2 Mio. Menschen (1/3 der Erwerbstätigen!) waren 2020 in Österreich atypisch beschäftigt. Knapp 300.000 gelten als sogenannte „Working Poor“ – sie sind arm trotz Arbeit. Der schleichende Wandel der Arbeitswelt bedroht die Grundlagen unserer sozialen Sicherheit. Der Kampf gegen miese Arbeitsbedingungen, Lohndumping und Profitmaximierung auf dem Rücken der Schwächsten hat für uns daher einen hohen Stellenwert.

„Faire Arbeit“ äußert sich durch hohe arbeitsrechtliche Standards und ein gesichertes, gerechtes Einkommen, aber auch durch ein hohes Maß an sozialer Absicherung (zB bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit). Arbeit ist eine der wichtigsten Grundlagen für die Persönlichkeitsentwicklung, für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Arbeit schafft individuelle Einkommen und ermöglicht den Menschen ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben und eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Tatsächlich beobachten wir jedoch seit Jahrzehnten ein Auseinanderfallen des Arbeitsmarkts, eine Auflösung des „Normalarbeitsverhältnisses“ und das wachsende Phänomen, dass Menschen von ihrer Arbeit nicht mehr leben können.

Überall, wo ein:e Arbeitnehmer:in ausgebeutet wird, steht am anderen Ende der Profit von jemand anderem: Leiharbeit, Scheinselbständigkeit, grenzüberschreitende Entsendung, Beschäftigung ohne offizielle Papiere zu Dumpinglöhnen. Mit dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) haben wir in Österreich ein weltweit einzigartiges Instrument zur Bekämpfung von ausbeuterischen Praktiken und Sozialbetrug. Wir haben den Fokus damit klar auf den Kampf gegen die „schwarzen Schafe“ unter den Arbeitgeber:innen und nicht auf den Kampf gegen die Arbeitnehmer:innen gelegt. Für uns als PRO-GE ist klar: Die Schuld ist nicht bei den Arbeitnehmer:innen aus unseren Nachbarstaaten zu suchen, sondern bei jenen Unternehmen, die sich absichtlich unlauterer Methoden bedienen, und bei den Herkunftsstaaten, die ihnen dabei bewusst den Rücken stärken.

Umgehung kollektivvertraglicher Standards: Outsourcing, Entsendung & Co.
Im industriellen Umfeld kommt es immer wieder zu Umgehungen mit dem klaren Ziel, Löhne zu drücken. Beispiele dafür sind die Qualitätskontrolle, die an externe Dienstleister:innen ausgelagert wird, oder der interne Warentransport, der durch zugekaufte Logistikdienstleister erbracht wird. Oftmals werden dabei Betriebe beauftragt, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Desinformation und die vorsätzliche Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Grundlagen gehen dann in Kombination mit vergleichsweise schlechter Entlohnung einher.

Seit 2014 sind die Entsendungen aus dem Ausland von ca. 122.000 auf fast 200.000 im Jahr 2021 gestiegen. Österreich ist bei den Empfängerländern in der EU an fünfter Stelle (hinter Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande) und liegt bei den Entsendungen aus Niedriglohnländern sogar EU-weit an der Spitze.

Als ein Beispiel unter vielen kann hier die Fleischindustrie dienen. Unter Ausnutzung der EU-Entsenderichtlinie werden hier Arbeiter:innen aus osteuropäischen Staaten als Schlachter:innen beschäftigt. Durch die Entsendung zahlen sie die Lohnsteuer zwar vor Ort, Sozialversicherung wird jedoch im jeweiligen Heimatstaat entrichtet. Eine Überprüfung ist de facto nicht möglich und Betrügereien an der Tagesordnung.

Europäische Mindestlohnrichtlinie
In der EU besteht weiterhin ein großes West-Ost-Gefälle bei den Löhnen, was den Druck auf faire Löhne erhöht und die Gefahr von Lohndumping über die Entsendung aus den angrenzenden Staaten massiv erhöht. Ein wichtiger Schritt zur Erreichung der Lohnkonvergenz zwischen den Mitgliedstaaten ist dabei die im Oktober 2022 beschlossene Mindestlohnrichtlinie. Zentral ist der Fokus auf die Stärkung von Kollektivverträgen, was vor allem in Mittel- und Osteuropa, aber auch in Deutschland (Tarifbindung 45 Prozent) von großer Relevanz ist.

  • Wir als PRO-GE werden unseren Einsatz aufrechterhalten, dass auch unsere niedrigen Kollektivverträge die von der Mindestlohnrichtline vorgegebene angemessene Lohnhöhe erreichen können.
  • Gleichzeitig wollen wir das Know-how aus einer starken Kollektivvertragslandschaft an unsere Partnergewerkschaften weitergeben, um sie bei der Erstellung von Aktionsplänen zur Förderung von Tarifverhandlungen zu unterstützen. In den Eurobetriebsräten wollen wir uns für eine konzernweite Umsetzung von fairer Entlohnung einsetzen.

Unsere Forderungen zur Verhinderung von Arbeitsausbeutung:

  • Die schwarz-grüne Regierung hat die Strafen bei Lohn- und Sozialdumping dramatisch gesenkt – hier müssen wieder höhere, effektive und abschreckende Strafen her!
  • Ein Informationsrecht bezüglich des Verfahrensstandes nach Einbringen einer Anzeige nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes
  • Zahlreiche Probleme beobachten wir am Ende einer Auftraggeber:innen-Kette: Wir fordern eine uneingeschränkte Generalunternehmer:innen-Haftung für Entgelt, eine Beschränkung der Sub-Vergaben und eine durchgehende Verpflichtung zum Bestbieter:innen-Prinzip bei öffentlicher Auftragsvergabe.
  • Die kurzen Verfallsfristen in den Kollektivverträgen von wenigen Monaten verhindern regelmäßig die Durchsetzung von Ansprüchen bei vorsätzlicher Unterentlohnung. Die 3-jährige gesetzliche Verjährungsfrist soll allgemein gelten.

Undokumentierte Beschäftigung – aus der Not folgt die Ausbeutung
Zahlreiche Menschen, die vollkommen legal in Österreich leben, dürfen dennoch nicht oder nur sehr eingeschränkt arbeiten. Aus finanzieller Not werden viele von ihnen in eine „illegale“ Beschäftigung zu gefährlichen, gesundheitsschädlichen und menschenunwürdigen Bedingungen gedrängt. Solche „undokumentierten Beschäftigten“ ohne Arbeitserlaubnis und ohne Arbeitspapiere sind allerdings genauso Arbeitnehmer:innen wie wir – mit entsprechenden Rechten und Ansprüchen. Ihre Ausbeutung führt zu erheblichen Profiten der „Schwarzarbeitgeber:innen“ und bedroht gleichzeitig kleinere Unternehmen in ihrer Existenz. Unsere Kollektivvertragslöhne werden unterwandert und unser Sozialversicherungssystem um Beiträge geprellt. Die Bekämpfung betrügerischer Praktiken der Arbeitgeber:innen ist daher für die PRO-GE ein vordringliches Anliegen.

  • Seit Jahren unterstützen wir daher die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender (kurz „undok-Anlaufstelle“ genannt), die wir gemeinsam mit anderen Gewerkschaften und NGOs ins Leben gerufen haben. Sie bietet Beratung und Unterstützung für von Arbeitsausbeutung betroffene „undokumentiert“ arbeitende Kolleg:innen. Wir werden uns auch weiterhin im Rahmen dieses Projekts engagieren und die Anlaufstelle unterstützen.

Ausbeutung in der Landwirtschaft: Erntearbeiter:innen
Eine der prekärsten Branchen in Österreich ist die Erntearbeit im Obst- und Gemüseanbau: Bezahlung weit unter Kollektivvertrag, vorenthaltene Überstundenentlohnung, fehlende Schutzausrüstung und pferch-ähnliche Schimmel-Quartiere. Die Kolleg:innen werden oft lediglich Teilzeit oder vereinzelt gar nicht angemeldet, tatsächlich jedoch weit über das zulässige Höchstausmaß an Arbeitszeit beschäftigt. Häufig wird nur ein Teil der tatsächlichen Arbeitsleistung offiziell abgegolten und dadurch den Kolleg:innen große Summen an Entgelt und der Sozialversicherung Beitragseinnahmen in Millionenhöhe vorenthalten.

Der Großteil der Erntearbeiter:innen kommt aus dem Ausland, die Skepsis gegenüber Institutionen – auch der Gewerkschaft – ist groß, ihre Verweildauer in Österreich nur kurz und das Wissen über die eigenen Rechte quasi nicht vorhanden. Diese Herausforderung haben wir als PRO-GE angenommen und 2014 die Kampagne „sezonieri.at“ zur Unterstützung der Erntearbeiter:innen und Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen ins Leben gerufen. Kostenlos und anonym bieten wir arbeitsrechtliche Infos in der jeweiligen Muttersprache: Über Plakate, direkt am Feld verteilte Folder, Videos, eine Website (sezonieri.at) und Info-Hotlines. Die Kampagne hat uns als PRO-GE gezwungen, über den eigenen Tellerrand zu blicken: In einem Pilotprojekt arbeiten wir mit NGOs und ehrenamtlichen Aktivist:innen zusammen, um das Vertrauen der Erntehelfer:innen zu gewinnen und die ressourcenintensive Information der Kolleg:innen auf den Feldern gemeinsam zu bewältigen. Wir haben erste Erfolge erreicht, doch ist gerade in diesem Bereich noch viel zu tun.

Die PRO-GE wird daher ihre Aktivitäten zur Aufklärung und Unterstützung von Erntearbeiter:innen auch in den kommenden Jahren weiterführen.

Forderungen:

  • Eine Aufstockung der Ressourcen der land- und forstwirtschaftlichen Inspektorate (= Arbeitsinspektorate der Landwirtschaft).
  • Eine gesetzliche Vermutung einer Vollzeitbeschäftigung (wie in der Bauwirtschaft): Da Teilzeitbeschäftigung in dieser Branche äußerst untypisch ist und sich Betrugsfälle häufen, müssen die Arbeitgeber:innen eine tatsächlich vorliegende Teilzeitbeschäftigung nachweisen – sonst gilt die oder der Arbeitnehmer:in als vollzeitbeschäftigt.
  • Arbeitsrechtsprüfung statt Arbeitsmarktprüfung: Die Erteilung von Beschäftigungsbewilligungen in der Landwirtschaft soll davon abhängig gemacht werden, dass sämtliche österreichischen arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften eingehalten und ausschließlich für Vollzeitbeschäftigung erteilt werden.
  • Parallel dazu können wir uns Modelle vorstellen, in denen Gemeinden die Arbeitgeber:innenfunktion übernehmen und den Landwirt:innen der Region die Saison-Arbeitskräfte in Form einer Arbeitskräfteüberlassung zur Verfügung stellen – solange dadurch höhere arbeits- und sozialrechtliche Standards gesichert sind.
  • Die vielfach von uns geforderte sofortige Ratifizierung und effektive Umsetzung der ILO-Konvention Nr. 184 in Österreich (Sicherheit und Gesundheit in der Landwirtschaft) sowie der dazugehörigen Umsetzungs-Empfehlung Nr. 192.
  • Eine menschenwürdige Umsetzung der ArbeitnehmerInnen-Schutzverordnungen in der Land- und Forstwirtschaft – noch immer gibt es keinen angemessenen Vorschlag zu den Quartiererfordernissen!
  • Agrarförderungen müssen an die Einhaltung sämtlicher (nicht nur wie aktuell vereinzelter) arbeits- und sozialrechtlicher Bestimmungen geknüpft werden.
  • Die Handelsketten müssen nicht nur auf die Produktqualität achten, sondern auch faire Arbeitsbedingungen gewährleisten, einfordern und kontrollieren.
  • Lohnabrechnungen und Arbeitszeitaufzeichnungen sind den Erntearbeiter:innen nachweislich auszuhändigen und die Lohnzahlung muss verpflichtend auf ein Bankkonto erfolgen.
  • Sobald ein Schriftstück von Landarbeiter:innen unterschrieben werden muss, ist ihnen verpflichtend eine Kopie auszuhändigen. Arbeitsverträge und wichtige Informationen sind schriftlich in der Herkunftssprache zur Verfügung zu stellen.

7.1. Die Arbeitskräfteüberlassung

Ein Phänomen, dass uns als PRO-GE seit vielen Jahren begleitet und das immer noch an Bedeutung zunimmt – womit die Probleme nicht gerade weniger werden –, ist die Arbeitskräfteüberlassung. Wegen der massiven Anstrengungen der PRO-GE ist es gelungen, über das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz (AÜG) und den von uns verhandelten AKÜ-Kollektivvertrag weitgehend einen Rahmen zu schaffen, der überlassenen Arbeitskräften ein stabiles Arbeitsumfeld bietet. Drüber hinaus schafft der Sozial- und Weiterbildungsfonds (SWF) Mindeststandards und Entwicklungsmöglichkeiten, die für viele Branchen vorbildhaft sind.

Dennoch bleibt die Branche eine der herausforderndsten und die Arbeit mitunter eine prekäre: Vor allem der intensive Preisdruck und der Wettbewerb innerhalb der AKÜ-Branche führen nach unten. Viele Überlasserbetriebe neigen dazu, die Rechte der überlassenen Arbeitskräfte zu beschneiden, um billiger anbieten zu können. Begünstigt wird das durch die Devise „je günstiger, desto besser“ in den Beschäftigerbetrieben.

Überlassene Arbeitskräfte werden schon lange nicht mehr nur zur Abdeckung wirtschaftlicher Spitzen angefordert. Obwohl durch Leiharbeit keine Gefährdung der Arbeitsplätze bewirkt werden darf, ist es in vielen Industriebetrieben Praxis geworden, überlassene Arbeitskräfte zur optischen Verbesserung der Jahresabschlüsse und Bilanzen einzusetzen. Das ist nur möglich, weil die Kosten für Arbeitskräfteüberlassung im „Sachaufwand“ ausgewiesen werden und somit gar nicht als Personalkosten zählen. Dadurch werden Kennzahlen, wie die Produktivität pro Beschäftigten, völlig falsch dargestellt. Eine solche Praxis übt Druck auf andere Unternehmen aus, die ihrerseits den Anteil an Eigenpersonal reduzieren. Dadurch werden Arbeitsplätze gefährdet!

Mit zunehmender Sorge sehen wir auch, dass Arbeitskräfteüberlassung als Recruiting-Instrument eingesetzt wird und zunehmend das AMS ausbootet. Die Folge: Eine Vermittlung in einen regulären Arbeitsplatz wird immer unwahrscheinlicher.

Wir fordern daher:

  • Alle Personalkosten, auch aus der Beschäftigung von überlassenen Arbeitskräften oder Werkverträgen, sind als Personalkosten in den Bilanzen und Jahresabschlüssen auszuweisen, nicht als „Sachaufwand“.
  • Ein Verbot der einvernehmlichen Auflösung im Zusammenhang mit dem Ende eines Einsatzes.Verstöße gegen die 14-tägige Vorankündigungsfrist vor dem Ende einer Überlassung müssen mit einer wirksamen, abschreckenden Geldstrafe sanktioniert werden.
  • Gesetzliche Höchstquoten an überlassenen Arbeitskräften. Diese Quoten auf Branchenebene festzulegen ist zu allgemein, eine Festlegung (zB durch das Bundeseinigungsamt) muss auch für die Betriebsebene möglich sein.
  • Während der Beschäftigung von überlassenen Arbeitskräften (eventuell abhängig von besonderen Umständen oder Quoten) dürfen Stammbeschäftigte nur aus persönlichen Gründen, nicht aber aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt werden.

Wird bereits beim Überlasser eine Betriebsratsumlage eingehoben, fordern wir zur Vermeidung einer doppelten Zahlungsverpflichtung der überlassenen Kolleg:innen eine gesetzliche Verpflichtung des Beschäftigers, den entsprechenden Betrag an den Fonds des Beschäftiger-Betriebsrat zu leisten.

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