Von der Kurzarbeit in den Arbeitskräftemangel. In der Arbeitsmarktpolitik begegnen wir aktuell Schlagworten wie Fachkräftemangel, Klimawandel, Pensionierungswellen. Gleichzeitig lassen uns aber auch Begriffe aus der letzten Dekade noch nicht los: Wir feilen nach wie vor an der Durchsetzung von Konzepten gegen Langzeitarbeitslosigkeit, entwerfen Modelle zur Arbeitszeitverkürzung, rücken die Interessen älterer Arbeitnehmer:innen in den Fokus, fordern bessere Programme und Chancen für Frauen in technischen Berufen.
In der Corona-Pandemie konnten wir erneut die Kurzarbeit erfolgreich gegen eine drohende Massenarbeitslosigkeit einsetzen. Relativ rasch hat daher auch die Wirtschaft Erholung gezeigt und einen kräftigen Aufschwung hingelegt. Und tatsächlich: So niedrig wie im Frühjahr 2023 war die Zahl der Erwerbslosen in diesem Jahrtausend noch nie.
Als Folge davon macht sich nun allerdings vielerorts ein breiter Arbeitskräftemangel bemerkbar. In vielen Betrieben sind die Auftragsbücher schneller gewachsen als der Personalstand. In anderen Bereichen sind die Beschäftigten nach der Pandemie nicht mehr gewillt, die schlechten Rahmenbedingungen ihrer Arbeitsverhältnisse hinzunehmen und haben sich anderweitig um Arbeit mit besseren Bedingungen, besserer Bezahlung und besseren Zukunftschancen umgesehen. Die Wirtschaft jedoch sieht nach wie vor nur vereinzelt, dass sich Beschäftigte nicht mehr um jeden Preis – und unter Wert – verkaufen.
Der Mangel an Arbeitskräften und insbesondere Fachkräften ist so groß wie nie. Das ist für uns der Punkt, auch mit den bisherigen Mechanismen zu brechen, die schon lange nicht funktionieren (falls sie das je getan haben). Die berüchtigte „Mangelberufsliste“, die den Einsatz von Drittstaatsangehörigen ermöglicht, wo der Bedarf national nicht abgedeckt werden kann, hat einen dramatischen Effekt: Anstelle einer Verbesserung der Arbeits- und Lohnbedingungen und eigener Ausbildung und Qualifizierung wird nach immer billigeren Arbeitskräften gerufen und gefischt. Das führt zu einer Abwärtsspirale für ALLE Arbeitskräfte, ganz egal, wo sie herkommen.
Nach dem schnellen wirtschaftlichen Aufschwung der Jahre 2021 und 2022 im Nachgang der Corona-Pandemie sehen die mittelfristigen Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute nicht mehr allzu rosig aus. Die Rekordinflationsraten treffen auf die Forderungen der Beschäftigten nach adäquaten Lohnabschlüssen. Postwendend zeichnet die Wirtschaft Szenarien, in denen Arbeitsplätze für die Betriebe bald nicht mehr leistbar sein sollen und es zu Personalabbau, mindestens aber zu einem Einstellungsstopp, kommen würde.
Wie geht das alles zusammen? Einer der arbeitsmarktpolitischen Schwerpunkte muss künftig darauf liegen, dem beginnenden Strukturwandel aufgrund der Klimaerwärmung zu begegnen. Das bedeutet, den drohenden Arbeitsplatzverlusten entgegenwirken, dort wo er unvermeidlich ist, neue Perspektiven für die Betroffenen schaffen, indem die Notwendigkeit klimafitter Qualifizierungsmaßnahmen in den Mittelpunkt gerückt wird. Dies kann gelingen, indem sowohl Betriebe aktiver als zuvor in Qualifikationsprojekte eingebunden werden, Stichwort „Implacement“, und indem Unternehmen solche Maßnahmen mittragen, die eine „Arbeitsentdichtung“ ermöglichen (allem voran Arbeitszeitverkürzung). Darüber hinaus muss das AMS viel stärker als bisher in die Qualifikationsoffensive gehen und nicht nur die undifferenzierte Arbeitsvermittlung als Hauptaufgabe sehen. Dazu braucht es einen kräftigen Personalaufbau beim AMS und entsprechend hohe budgetäre Zugeständnisse an eine aktive Arbeitsmarktpolitik.
Die beste Arbeitsmarktpolitik kann und wird nicht verhindern, dass Menschen arbeitslos werden, sei es vorübergehend oder strukturell in der Langzeitarbeitslosigkeit landen. Die bestehenden Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sind nicht mehr existenzsichernd. Wir beobachten auch einen Haufen an Schikanen, die Arbeitslose beim AMS erdulden müssen, auch hier muss sich einiges ändern.
Es braucht eine menschenwürdige Arbeitsmarktpolitik und eine Arbeitsplatzgestaltung, die die Menschen dauerhaft in Beschäftigung hält und Altersarbeitslosigkeit verhindert.
Wir fordern daher:
- Alterns- und altersgerechtes Arbeiten: Prävention, betriebliche Fürsorge und sanfte Eingliederung nach Krankheit. Die Langzeitarbeitslosigkeitsfalle schnappt am häufigsten dort zu, wo ältere Arbeitnehmer:innen aufgrund gesundheitlicher Probleme vorübergehend aus dem Arbeitsprozess ausscheiden.
- Betriebe müssen in die Pflicht genommen werden, den eigenen oder regionalen Fachkräftebedarf selbst auszubilden bzw. daran mitzuwirken.
Aufstockung der finanziellen Mittel für Implacement-Stiftungen und AQUA (arbeitsplatznahe Qualifizierung). - Unternehmen, die Arbeitskräftebedarf in Mangelberufen bzw. zukunftsträchtigen „Green Jobs“ beim AMS angemeldet haben, sich aber nicht an Stiftungsmodellen als Ausbildungsbetrieb beteiligen, sollen finanzielle Beiträge an die Stiftung leisten oder sich mindestens über Einstellungszusagen für Personen aus AQUA-Programmen verpflichten.
- Eine sofortige, deutliche und vor allem dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes, Der Familienzuschläge und der Notstandshilfe.
- Eine Valorisierung der Bemessungsgrundlage. Derzeit wird unangepasst auf eine Bemessungsgrundlage zurückgegriffen, die mitunter 1 Jahr oder länger zurückliegt. Das ist in Zeiten von hoher Inflation schlicht nicht zumutbar.
- Ausweitung des Einkommens- und Berufsschutzes.
- Wirksame Maßnahmen gegen den Missbrauch der Arbeitslosenversicherung durch die Arbeitgeber (zB sogenanntes „Zwischenparken“)
- Eine Umkehr der Zumutbarkeitsprüfung: Ausgeschriebene Jobs müssen bestimmte Kriterien erfüllen, um als zumutbar zu gelten, zB einen bestimmten Mindestlohn haben.
Kurzarbeit
In den vergangenen zwei Jahren waren bis zu einem Drittel der Arbeitnehmer:innen in Österreich in Kurzarbeit! Die dadurch gewonnenen Erfahrungen helfen uns, betriebliche Modelle zur Arbeitszeitverkürzung zu formulieren und durchzusetzen, aber auch zukünftige Entwicklungen zu meistern, die zu Verwerfungen am Arbeitsmarkt führen (können), allen voran die Klimakrise.
Kurzarbeit als Instrument wird auch weiterhin erforderlich sein – klar ist jedoch, wir müssen hinsichtlich der Ansprüche während der Kurzarbeit die Rechte der Arbeitnehmer:innen, wie sie vor der Corona-Pandemie bestanden haben, absichern. Das gilt auch hinsichtlich des Zwangsverbrauchs von Urlaub, den wir nach wie vor klar ablehnen. Die Vorstöße der Politik, Kurzarbeit zugunsten von Massenkündigungen abzulehnen, halten wir für kurzsichtige Irrwege, die einen massiven wirtschaftlichen Schaden mit sich ziehen können.
9.1. Mehr Beschäftigung durch kürzere Arbeitszeiten
Wir beobachten zunehmend Prozesse und sich ändernde Rahmenbedingungen in der Produktion, die mit einem Rückgang von Arbeitsplätzen in großer Zahl verbunden sind, wie beispielsweise die zunehmende Digitalisierung (Stichwort „Industrie 4.0“), Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion und Produkte oder schlicht willkürliche Konzernentscheidungen. Wir betrachten es als Gebot der Stunde, Arbeit durch kluge Modelle der Arbeitszeitverkürzung neu zu verteilen und so betriebliche „Transformationen“ zu ermöglichen.
Das bestehende Solidaritätsprämienmodell muss auf Basis von zwei Säulen weiterentwickelt werden:
- Im Betrieb sinkt das Arbeitsvolumen: Anstelle von Stellenabbau sollen die bestehenden Arbeitsplätze dadurch gesichert werden, dass die Arbeitszeit für alle dauerhaft herabgesetzt wird. Die Verpflichtung zur Einstellung von Ersatzarbeitskräften entfällt in diesem Modell.
- In anderen Betrieben soll die bestehende Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung und Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte auf mehr Köpfe verteilt werden und eine dringend notwendige Entlastung und Attraktivität bringen.
Der Lohnausgleich der entfallenden Arbeitszeit muss über eine öffentliche Förderung (mit)finanziert werden. Damit schaffen wir eine Umstiegsfinanzierung zu einer dauerhaften Arbeitszeitverkürzung. Für uns ist klar, dass einerseits entsprechende Budgetmittel zur Verfügung gestellt werden müssen und andererseits eine unbürokratische Antragstellung gewährleistet ist.
Abfertigung
2003 wurde das System der „Abfertigung neu“ eingeführt – im Lichte der damit verbundenen Erfahrungen erheben wir folgende Forderungen:
- Wir fordern eine Auszahlung der „Abfertigung alt“ auch bei Arbeitnehmer:innen-Kündigung. Die sogenannte „Abfertigung neu“ wurde vor über 20 Jahren eingeführt. Wer heute noch dem alten System unterliegt, hat seine Betriebstreue trotz späterer Kündigung hinlänglich unter Beweis gestellt.
- Im Rahmen der „Abfertigung neu“ muss ein deutlich höherer Beitragssatz vorgesehen werden, der die Leistungen des Systems an jene der „Abfertigung alt“ heranführt.
- Den Kollektivverträgen muss auch im Rahmen der „Abfertigung neu“ steuerlich jener Spielraum eingeräumt werden, den sie im Rahmen des alten Abfertigungssystems haben.