Sozialstaat geht uns alle an. Gehören wir nicht gerade zu den wenigen reichsten Prozent, profitieren wir in unterschiedlichen Lebenslagen sehr stark, individuell und als Gesellschaft. Dennoch lässt sich regelmäßig beobachten, wie der Abbau und die vielzitierte „Verschlankung“ des Sozialstaats auf breite Zustimmung stößt oder zumindest billigend in Kauf genommen wird. Es gilt als unumstritten, dass sich unser Sozialstaat in der Krise befindet – und wenn nicht das, dann zumindest seine Finanzierung. Dasselbe gilt für seine Institutionen, von der Sozialversicherung bis zu uns als Gewerkschaft.
Die Qualität der sozialen Sicherheit ist eine politische Frage und Gegenstand politscher Auseinandersetzungen. Sie beruht auf unterschiedlichen Vorstellungen, was eine soziale Gesellschaft ausmacht. Für uns jedenfalls ist der Sozialstaat dann ein solcher, wenn er im Dienste jener steht, die ihn brauchen. Das muss allerdings stetig auf’s Neue erkämpft werden.
Sozialstaat als Rückgrat der Demokratie
Fact Box: Sozialstaat
Unser Sozialstaat wird gerne auf die „Zurverfügungstellung sozialer Absicherung“ als „Auffangnetz“ in (bestmöglich unverschuldeten) Notlagen reduziert. Das ist inhaltlich nicht nur falsch, sondern es verstellt den Blick auf die umfangreiche, wichtige Funktion eines breit aufgestellten Sozialstaates. Sozialstaat ist eines der wesentlichen Elemente einer modernen solidarischen Gesellschaft, ihr Rückgrat. Er soll eben gerade nicht nur gegen existenzbedrohende Notlagen absichern, er will soziale Gerechtigkeit herstellen, umverteilen, Lasten verteilen, stabilisieren (sowohl im wirtschaftlichen Sinn, beispielsweise durch Kurzarbeit, als auch durch die Wahrung des viel zitierten „sozialen Friedens“) und ist Inbegriff einer demokratischen Gesellschaftsordnung per se.
Wohin geht unser Sozialstaat?
Spätestens seit 2017 weht ein „neuer“ Wind in Österreich. Die Regierung Kurz, aber auch ihre Nachfolgeregierung(en) geben wenig auf die Einbeziehung der Sozialpartnerschaft, insbesondere der Arbeitnehmer:innen. Mittlerweile ist öffentlich bekannt: Den Kurs bestimmen die Reichen, die Großspender:innen der Wirtschaft, insbesondere der Industrie. Das hat einerseits unsere Rolle im politischen Gefüge Österreichs verändert – andererseits hat es gravierende Auswirkungen auf die Ausgestaltung unseres Sozialstaats.
Die Angriffe der Regierungen der letzten Jahre auf den Sozialstaat zeigen uns seine Wichtigkeit für die Arbeitnehmer:innen. Die schamlose und verlogene Entmachtung der versicherten Arbeitnehmer:innen war nur die Spitze des Eisberges.
Fact Box: Sozialabbau und Politik für Reiche und Konzerne
- Wiedereinführung des 12-Stunden-Tags, Ausweitung der Wochenendarbeit.
- Umbau der Sozialversicherung: Unter Vorgaukelung einer „Patientenmilliarde“ wird die Selbstverwaltung der Arbeitnehmer:innen in ihrer eigenen Krankenversicherung abgeschafft und ein millionenschweres Finanzloch gerissen.
- Wiedereinführung der Abschläge bei der Hacklerregelung, der Schwerarbeits-, Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension.
- Abschaffung der Sonderunterstützung für arbeitslose Bergleute.
- Abschaffung des Karfreitags als Feiertag.
- Kürzung der Ausbildungsbeihilfe bei überbetrieblicher Lehre.
- Einschnitte bei der Blockvariante der Altersteilzeit.
- Aushöhlung des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes.
- Umwandlung der Mindestsicherung in die stigmatisierende „Sozialhilfe“ inklusive Kürzungen, besonders zu Lasten der Kinder.
- Senkung der Körperschaftssteuer.
- Massive Überförderung der Unternehmen in der COVID-Krise und bei den Energiekosten, Ausschüttung an Unternehmen nach dem Gießkannenprinzip, während beispielsweise Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bis heute nicht nachhaltig erhöht wurden.
Was braucht ein moderner Sozialstaat?
Ein zukunftsträchtiger Sozialstaat muss wachsen, nicht ausgehungert werden. So wie die Welt um uns herum, ist auch der Sozialstaat stetiger Veränderung unterworfen. Einerseits um aktuellen Veränderungen und neuen Herausforderungen zu begegnen – andererseits als Produkt gewonnener (aber auch verlorener) politischer Kämpfe. Ein Sozialstaat, der mit den aktuellen Herausforderungen (Demografie, Klima, wirtschaftliche Entwicklung) mithalten will, muss seine Ansprüche und Leistungen ausbauen, um allen Bevölkerungsgruppen eine gleiche Teilhabe zu ermöglichen und keine Armut zu erzeugen. Das verlangt ein klares Ende seines langsamen Hungertodes, eine „Trendumkehr“: Anstelle von Leistungskürzungen brauchen wir neue (oder andere) Antworten auf die Finanzierbarkeitsfrage, ganz konkret die Besteuerung von Erbschaften und Vermögen und eine Änderung der Steuerstruktur. Eine Abgaben-Entlastung bei Arbeit und Konsum, stattdessen die Einhebung einer Wertschöpfungsabgabe.
Sozialstaatliche Maßnahmen müssen auch strukturelle Benachteiligungen beseitigen, zB für Menschen aus dem ländlichen Bereich, Frauen, Menschen aus einkommensschwächeren Familien, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten. Ein moderner Sozialstaat muss neue Antworten auf Arbeitslosigkeit finden und „Vollbeschäftigung“ im 21. Jahrhundert neu interpretieren. Dazu gehört neben aktiver Arbeitsmarktpolitik auch die Verteilung von Arbeit auf wesentlich mehr Köpfe durch schlaue Modelle der Arbeitszeitverkürzung. Auch in unseren eigenen Reihen müssen wir anerkennen, dass Arbeitslosigkeit kein individuelles Problem ist, sondern strukturelle Ursachen hat, die durch die neoliberale Politik forciert werden. Das geht uns alle an. Wir wissen auch, dass nicht zu hohe Sozialleistungen das Problem sind, sondern beispielsweise Lohndrückerei.
Ohne Demokratie kein Sozialstaat
Ein Sozialstaat muss umfassend sein, um gut zu sein. Umfassend kann er nur dann sein, wenn alle die Möglichkeit haben, ihn im Sinne ihrer Bedürfnisse mitgestalten zu können.
An dieser Stelle müssen wir feststellen, dass immer weniger unserer Mitglieder und Kolleg:innen in den Betrieben wahlberechtigt sind, und damit ihr Umfeld und ihre Zukunft mitgestalten können. Ein untragbarer Zustand. Als PRO-GE werden wir uns für eine Ausweitung des Wahlrechts einsetzen – Ziel ist, dass alle von uns vertretenen Kolleg:innen wählen können.
Mit den BR-, JVR- und AK-Wahlen sind wir als Arbeitnehmer:innen-Vertetung die einzige Möglichkeit für tausende Menschen mit Migrationshintergrund, sich demokratisch zu beteiligen. In den meisten Fällen bleibt dieses Recht den Menschen mit österreichischer Staatsbürger:innenschaft (teilweise Staatsbürger:innenschaft aus EU-Mitgliedstaaten) vorbehalten. Es sind aber meistens Arbeiter:innen, die durch ein solches Wahlrecht diskriminiert werden. Zum einen können sich viele die Kosten für die österreichische Staatsbürger:innenschaft nicht leisten, zum anderen wird fast jeder Mensch eine Verbindung zu seinem Geburtsland haben. Warum wird bei einer Wahlrechtsdebatte automatisch über die Erlangung der Staatsbürger:innenschaft diskutiert? Sollten wir in einem weltoffenen Österreich nicht darüber sprechen, wie unsere Kolleg:innen sonst noch zu einem Wahlrecht kommen können? Wir sind der Meinung, es benötigt hier einen Diskussionsprozess, um zigtausende Arbeiter:innen in das demokratische System zu integrieren.
12.1 Unsere Sozialversicherung
Krankenversicherung
Österreich hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Der Zugang zu medizinischer Leistung ist international beispielgebend. Kern unseres Gesundheitssystems ist die gesetzliche Krankenversicherung, die seit eh und je erfolgreich von den Arbeitnehmer:innen in Selbstverwaltung organisiert war. Gewissen Parteien ist das schon lang ein Dorn im Auge – als nicht gerade arbeitnehmer:innennahen Parteien war die Sozialversicherung ihrem politischen Einfluss entzogen. Und das war gut so!
Unter schamlosen und verlogenen Ansagen wie Effizienzsteigerung und einer angeblichen „Patientenmilliarde“ ist die arbeitnehmer:innenfeindliche ehemalige türkis-blaue Regierung unter Sebastian Kurz angetreten, die Sozialversicherung zu „reformieren“. Die Patient:innen-Milliarde sucht man bis heute vergeblich, stattdessen wurde den Arbeitnehmer:innen ihre eigene Versicherung weggenommen. Sie wurden kalt enteignet, denn nunmehr entscheiden in allen relevanten Gremien die Arbeitgeber:innen, was mit den Beiträgen von uns Versicherten geschieht. Entscheidungen über Einrichtungen und Leistungen, über Verträge mit Ärzt:innen, Privatisierungen, Selbstbehalte. Den Kassen fehlt durch die Kosten, die die „Reform“ verschlungen hat, an allen Ecken das Geld, relevante Entscheidungen werden von den Arbeitgeber:innen verhindert.
Für uns ist klar: Die SELBSTverwaltung muss wieder bei der Versichertengemeinschaft liegen, wir lassen uns nicht weiter unter Kuratel stellen. Wir wollen wieder demokratische Verhältnisse und Entscheidungen im Sinne von UNS VERSICHERTEN. Wir werden uns unsere Krankenkasse zurückholen.
Im Gesundheitssystem gibt es neben der Schaffung einer neuen, demokratischen Struktur, in der wir Arbeitnehmer:innen unsere Versicherung, die Leistungen und die Verträge mit Einrichtungen und Ärzt:innen wieder selbst in der Hand haben, auch eine Reihe grundsätzlicher Probleme zu lösen. Wir fordern daher:
- Jede Form der Zweiklassenmedizin ist strikt abzulehnen, das betrifft auch den schleichenden Wechsel zu Wahlärzt:innen.
- Eine Leistungsharmonisierung zwischen allen Versicherten und allen Bundesländern – dabei muss man sich jeweils an den höchsten Standards orientieren.
- Keine Privatisierung in der Gesundheitsversorgung!
Eine starke öffentliche Pensionsversicherung
Fact Box: Unser Pensionssystem
Wir haben in Österreich eines der besten, stabilsten, leistungsfähigsten und armutsfestesten Pensionssysteme der Welt. Es gibt keine vergleichbare Alternative zum umlagefinanzierten Pensionssystem, es muss daher weiter gestärkt werden.
Wir lehnen jede Bestrebung ab, das Pensionssystem oder Teile davon in private Pensionskassen zu verschieben. Das Glücksspiel Kapitalmarktveranlagung führt jedes Jahr zu niedrigeren Pensionen für die Versicherten, während Betreiber:innen von Pensionskassen und Fonds Profite einstreifen.
Demografische Veränderungen bringen Herausforderungen für das Umlagesystem. Aber: Der Alarmismus so mancher Regierungspartei ist fehl am Platz und dient in aller Regel anderen Interessen (zB dem Profit privater „Alternativen“). Unser umlagefinanziertes System ist gut abgesichert.
Unser Pensionssystem ist kurz-, mittel- und langfristig stabil und finanzierbar und damit auch ein Zukunftsmodell für die junge Generation!
„Die Alten sollen nicht mehr betteln gehen müssen“, war eines der großen Ziele, für das die Gewerkschaftsbewegung lange kämpfen musste. Es ging und geht um die Würde des Menschen im Alter, um Selbstbestimmtheit und das Recht – und nicht um erwiesene Gnade oder gewährte Almosen – auf eine angemessene Versorgung nach der Berufstätigkeit.
Die Umsetzung dieser Vision ist unser Erbe. Unsere soziale Pensionsversicherung sichert bei vorübergehender oder dauernder Arbeitsunfähigkeit und im Alter den Lebensstandard, bewahrt vor Armut, garantiert Hinterbliebenenleistungen und trägt zur Gesundheitsvorsorge bei. Das ist praktizierte und erlebbare Solidarität. Die damit geschaffene soziale Sicherheit ist eine Grundvoraussetzung für unsere Demokratie und wesentlicher Eckpfeiler unseres Sozialstaats.
Heute haben wir in Österreich eines der besten, stabilsten und leistungsfähigsten Pensionssysteme der Welt. Diese Verlässlichkeit und Stabilität beruht auf der Pflichtversicherung und der Deckung der die Beiträge übersteigenden Leistungen aus Bundesmitteln (Ausfallshaftung).
Fact Box: Pflichtversicherung
In Österreich schließt der Gesetzgeber bestimmte Personengruppen zu einer solidarischen Versichertengemeinschaft in einer bestimmten Versicherung (zB ÖGK, BVAEB) zusammen. Auch die Beitragshöhe ist gesetzlich festgeschrieben und solidarisch nach Einkommenshöhe gestaffelt.
Sachleistungen (Krankenbehandlung, Medikamente, Heilbehelfe) sind für alle Versicherten in dieser Versicherung gleich und stehen allen gleichermaßen zu. Es gibt damit im Gegensatz zur deutschen Versicherungspflicht (keine gesetzliche Versicherung, sondern Wahl eines privaten Trägers) keinen Risikoausschluss und auch keine höheren Beiträge bei bestimmten Risiken.
Fact Box: Umlagefinanzierung
Die aktuell Erwerbstätigen zahlen mit ihren Beiträgen die Pensionen der derzeitigen Pensionist:innen. Daher ist die Situation am Arbeitsmarkt entscheidend. Viele Menschen in Beschäftigung und gute Löhne sind die wichtigsten Säulen des Umlagesystems.
Das Gegenteil wäre ein kapitalgedecktes Pensionssystem: Hier werden die eingezahlten Gelder am Kapitalmarkt veranlagt. Die Pensionshöhe ist gesetzlich nicht definiert und hängt von der Kapitalmarktrendite ab! Den wahren Profit machen die Anbieter:innen privater Kassen oder Fonds, niemals die Pensionist:innen.
Soziale Sicherheit ist kein Glücksspiel! Es gibt keine Alternative zum umlagefinanzierten Pensionssystem, weil nur hier die Leistungen vorhersehbar und sicher sind. Es muss daher weiter gestärkt werden. Denn trotz aller Beteuerungen der privaten Pensionskassen bekommen die Versicherten dort fast jedes Jahr niedrigere Pensionen (minus 10 Prozent im Jahr 2022!) und das Risiko für Altersarmut steigt bedrohlich an. Wir lehnen es entschieden ab, dass mit dem Geld der Versicherten spekuliert wird und sich die Qualität und Höhe der Altersversorgung an der Börse entscheiden.
Unsere Pensionsversicherung garantiert Leistungen, die sich an den geleisteten Beiträgen, der Erwerbsdauer und der Anerkennung bestimmter gesellschaftlich wertvoller Leistungen (etwa Kindererziehung) orientieren. Damit orientiert sich die Pensionshöhe stark am Aktiveinkommen. Bei guten Erwerbsverläufen (durchgängige Beschäftigung, hohe Einkommen, Gesundheit etc.) ist das von Vorteil – es gewährleistet aus der Versicherungslogik heraus eine hohe Pension. Wir sehen aber auch, dass schlechte Erwerbsverläufe (niedrige Einkommen, längere Unterbrechungen der Erwerbsarbeit, Saisonarbeit, Teilzeit, Pflege etc.) zu niedrigen Pensionen führen. Hier kann und muss sozialpolitisch gegengesteuert werden (zB mit der Ausgleichszulage).
Unser Pensionssystem ist kurz-, mittel- und langfristig stabil und finanzierbar und damit auch ein Zukunftsmodell für die junge Generation!
Die Pensionsversicherungsanstalt ist jene Institution, die unsere Pensionsversicherung praktisch organisiert. Sie basiert immer noch auf dem Selbstverwaltungsprinzip, das allerdings durch die Reform der Kurz-Regierung stark geschädigt wurde, haben doch die unselbständig Erwerbstätigen in ihren eigenen Sozialversicherungsträgern keine Mehrheit mehr! Dieser unhaltbare Zustand ist so rasch wie möglich zu beenden.
Unsere Forderungen an die Politik
- Vermeidung von Altersarmut und Sicherstellung eines finanziell selbstbestimmten Lebens auch in Partnerschaften, dazu gehört auch der Erhalt der Ausgleichszulage.
- Wertsicherung bestehender und künftiger Pensionen gewährleisten, jedenfalls Kaufkrafterhalt für alle. Die Kürzung der ersten Pensionsanpassung ist abzuschaffen.
- Die Höhe der Pensionsanpassung, das Regelpensionsalter und die vorzeitige Alterspension sind politische Entscheidungen. Wir lehnen es ab, dass der Computer entscheidet, wann und zu welchen Bedingungen Menschen in Pension gehen dürfen.
- Um unser Pensionssystem auf Dauer vor Angriffen zu schützen und das Vertrauen aller Generationen, insbesondere auch der jungen Menschen, in unsere öffentliche Alterssicherung zu stärken, fordern wir, dass seine Grundsätze (Pflichtversicherung, Umlageverfahren, Lebensstandardsicherung und staatliche Zuschussgarantie) in der Verfassung verankert werden.
Vorzeitige Alterspension
- Leichterer, realitätsnaher Zugang zur Invaliditätspension vor allem durch Ausbau des Berufsschutzes/Tätigkeitsschutzes.
- Wer 45 Jahre gearbeitet hat, darf beim Pensionsantritt nicht mit Abschlägen bestraft werden. Auf diese 45 Jahre sollen in allen Fällen bis zu 60 Monate Kindererziehungszeiten, Präsenz- und Zivildienst angerechnet werden.
- Keine Abschläge, wenn aus gesundheitlichen Gründen ein vorzeitiger Pensionsantritt erfolgt. Es ist unsozial, Menschen, die krank sind und nicht mehr arbeiten können, dafür auch noch zu bestrafen.
- Vergünstigte Pensionist:innentarife (zB im öffentlichen Verkehr) nicht erst ab dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter, sondern ab dem Pensionsantritt.
- Menschen im fortgeschrittenen Alter, die bereits länger arbeitslos sind und keine realistische Chance mehr auf Arbeit haben, sollen die Möglichkeit haben, eine vorzeitige Alterspension anzutreten.
- Wir unterstützen den Grundsatz, dass Rehabilitation der Pensionierung vorzuziehen ist. Mindestes gleich wichtig ist es aber, dass Arbeit Menschen erst gar nicht krank macht.
Gendergerechtigkeit im Pensionssystem
Unbezahlte Arbeit wird noch immer zum überwiegenden Teil von Frauen erledigt. Die Einkommensschere klafft nach wie vor. Es fehlt an flächendeckenden, hochwertigen, leistbaren Betreuungseinrichtungen für Kinder und zu pflegende Menschen, um eine entsprechende Erwerbstätigkeit mit guten Einkommen zu ermöglichen. Die Einführung der „lebenslangen Durchrechnung“ anstatt der besten 15 Jahre hat dazu geführt, dass diese Verhältnisse voll auf die Pensionshöhe durchschlagen und es bedarf endlich wirkungsvoller Maßnahmen, um diesen negativen Auswirkungen zu begegnen. Pensionsverluste auf Grund gesellschaftlich notwendiger, aber unbezahlter Arbeit, sind nicht hinnehmbar!
- Verlängerung der Gutschriften am Pensionskonto für Kindererziehung, wobei in den ersten 4 Lebensjahren wie bisher 100 Prozent, im 5. und 6. Lebensjahr 66 Prozent und im 7. und 8. Lebensjahr 33 Prozent der Beitragsgrundlage gutgeschrieben werden sollen.
- Wir sind gegen jede Form des verpflichtenden Pensionssplittings.
- Generelle Verbesserung bei der pensionsrechtlichen Anerkennung für Care-Arbeit, insbesondere bei der Pflege naher Angehöriger.
- Im Bereich der Pflege haben wir gesehen, dass die Kriterien der Schwerarbeit strukturell so gestaltet sind, dass sie die mitunter außerordentlich fordernde, körperliche Schwerarbeit in diesen Berufen verleugnen. Um dies in unseren Branchen ausschließen zu können, fordern wir eine unabhängige, arbeitsmedizinische Evaluierung der Schwerarbeitskriterien in Hinblick auf typischerweise von Frauen ausgeübte Tätigkeiten.
Verbesserungen bei der Schwerarbeit
Die Anerkennung von Schwerarbeit ist umfassend geregelt, dennoch sehen wir, dass immer weniger Kolleg:innen tatsächlich einen Anspruch darauf haben. Das Problem: Die Kriterien zur Schwerarbeit können nicht mit der Komplexität der Tätigkeiten und geänderten Betriebsstrukturen (zB Ausgliederungen) mithalten und sind oft nicht mehr praxistauglich. Wir brauchen eine umfangreiche Überprüfung und Überarbeitung der Kriterien. So erweist sich zB der Kalorienverbrauch als Kriterium für „schwere körperliche Arbeit“ nicht immer als ausreichend.
- Die Kriterien sollten sich an den Regelungen der Nachtschwerarbeit orientieren. Kein taugliches Mittel ist für uns eine prozentuelle Begrenzung, wie sie derzeit Vorgabe für die Schwerarbeitsverordnung ist.
- Vereinfachung der Anerkennung von Schwerarbeit (Bürokratie, Überprüfungen trotz minutiösem Ausfüllen etc).
- Anerkennung folgender Tätigkeiten als Schwerarbeit:
- regelmäßige Nachtarbeit (zB stehende Nachtschicht) und taktgebundene Arbeit, die nicht unter die Definition von Schichtarbeit oder Wechseldienst fällt
- Arbeit unter Lärm bei Tag (lediglich Lärm bei Nacht ist durch das NSchG erfasst)
- psychische Belastungen, wie beispielsweise Arbeitsdruck, zB durchzunehmende Automatisierung und Digitalisierung
- regelmäßige Arbeit bei Hitze im Freien
- Berücksichtigung von Mehrfachbelastungen, wenn die einzelnen Belastungen für sich allein die Voraussetzungen nicht erfüllen.
- Jährliche Mitteilung an die Arbeitnehmer:innen und den Betriebsrat über gemeldete Schwerarbeitszeiten und Sanktionen bei Nicht-Meldung.
- Einhebung ergänzender Arbeitgeber:innenbeiträge, um jene Arbeitgeber:innen in die Pflicht zu nehmen, die sich der Schwerarbeit bedienen.
- Abschläge bei der Schwerarbeit widersprechen ihrem ureigensten Sinn und sind daher abzuschaffen.
- Derzeit müssen als Voraussetzung zur Schwerarbeitspension mindestens 45 Versicherungsjahre vorliegen – 40 Versicherungsjahre müssen ausreichen!
- Zeiten der Schwerarbeit sollen zeitnahe erfasst werden und unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Leistung für die Pension relevant sein.
Verbesserung bei der Nachtschwerarbeit
Die derzeitige Regelung des Nachtschwerarbeitsgesetzes bestimmt unterschiedliche Belastungen, die zusätzlich zur Nachtarbeit vorliegen müssen. Jede der angeführten Belastungen muss für sich allein überwiegend vorliegen, das heißt länger als die halbe Arbeitszeit vorhanden sein. Eine Zusammenrechnung unterschiedlicher Belastungen ist nicht möglich. Durch die Technologisierung unserer Arbeitsplätze und die zunehmende Komplexität der Tätigkeiten sind unsere Kolleg:innen aber immer öfter verschiedenen Belastungen ausgesetzt. Damit werden trotz hoher Belastungen immer weniger Arbeitnehmer:innen von diesem Gesetz erfasst.
- Reduzierung der Belastungswerte für Schwerarbeit im NSchG und Verpflichtung zur Zusammenrechnung unterschiedlicher Belastungen.
- Anspruch auf Sonderruhegeld muss bei regelmäßiger Nachtarbeit auch ohne Erfüllung der Schwerarbeitskriterien bestehen.
- Wenn nicht volle 15 Arbeitsjahre nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz, aber doch über 7,5 Arbeitsjahre vorliegen, muss ein aliquot früherer Pensionsantritt möglich sein.
Was wir als PRO-GE tun wollen:
- Wir sollten unser Pensionssystem gut kennen, Aufklärungsarbeit leisten, worin seine Qualität besteht und warum wir auf dieses System so stolz sind.
- Dafür ist es wichtig, sich in der Selbstverwaltung der Pensionsversicherung zu engagieren, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene. Es ist unsere Pensionsversicherung und wir werden mithelfen, dass die Nähe der Versicherten zu ihrer Pensionsversicherung wieder gestärkt wird.
- Wir müssen uns in alle politischen Prozesse einmischen, bei denen es um die Weiterentwicklung unseres Pensionssystems geht. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Pensionsversicherung krank gejammert wird und der Boden für Spekulant:innen aufbereitet wird.
- Auch das beste System muss im Sinne derer weiterentwickelt werden, für die es wirken soll. Niemand ist näher bei den arbeitenden Menschen als die Gewerkschaften und die in ihr wirkenden Betriebsrät:innen. Aus diesem praktischen Wissen müssen wir strukturelle Schlüsse zu ziehen, wie das zugrundeliegende System weiterentwickelt werden kann.
Unfallversicherung
Eine Abschaffung der Unfallversicherungsanstalt (AUVA) ist strikt abzulehnen. Die niedrigen Raten bei Arbeitsunfällen – bei Verletzungen oder sogar bei Todesfällen – wurden maßgeblich durch die Unfallversicherungsanstalt und ihre präventive Arbeit erreicht. Bei deren Wegfall würde es hier zu drastischen Verschlechterungen kommen, die in jedem Fall abzulehnen sind. Seit 2019 wurden die Unfallversicherungsbeiträge für Arbeitgeber:innen mehrmals gesenkt. Eine Begünstigung der Unternehmen, die dazu führen könnte, dass Gesundheitsleistungen für Arbeitnehmer:innen nicht mehr adäquat finanziert werden können. Die massive finanzielle Beschneidung muss daher endlich aufhören.
12.2. Öffentliche Infrastruktur garantieren und ausbauen
Ein wesentlicher Grundpfeiler unseres Sozialstaats ist die öffentliche Zurverfügungstellung qualitativ hochwertiger Dienstleistungen und Infrastrukturen wie Kinderbetreuung, Pflege, öffentlicher Verkehr etc. Auch das Grundbedürfnis Wohnen kann nur durch leistbaren Wohnraum und nicht durch Spekulation sichergestellt werden.
Kinderbetreuung
Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit muss für Mütter und Väter möglich sein. Ausreichende und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung muss öffentlich finanziert und bereitgestellt werden – auch sie ist ein substanzieller Teil unseres so wichtigen Sozialstaats.
Unsere Forderungen:
- Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Kinderbetreuungs- bzw. Kinderbildungsplatz ab dem 1. Lebensjahr sowie einheitliche, bundesweite Öffnungszeiten der Kinderbetreuungs- bzw. Kinderbildungseinrichtungen.
- Die Schaffung eines bundesweit einheitlichen Qualitätsrahmenplans für alle Kindergärten und eine Qualitätsoffensive durch umfassende Sprachförderung.
- Förderung von Betriebskindergärten und alternativen Kinderbetreuungen in Unternehmen sowie Kinderbetreuungseinrichtungen, die den Bedürfnissen von Beschäftigten mit untypischen Arbeitszeiten gerecht werden (zB Schichtdienst).
- Eine kostenlose Ganztagesbetreuung ab dem Eintritt in den Kindergarten; Ganztagesschulen und Ferienbetreuung vom Schuleintritt bis zum Ende der Schulpflicht unter den vorher genannten Kriterien. Ferienregelungen müssen auf die Bedürfnisse berufstätiger Eltern Rücksicht nehmen.
- „Familienförderung neu“: Neuregelung der Familienleistungen mit einer Teilung zwischen Sach- und Geldleistungen.
- Attraktivierung des „Papamonats“, um die Väterbeteiligung an der Care-Arbeit zu erhöhen.
Pflege
Die Gewährleistung einer ausreichenden, qualitativ hochwertigen Betreuung und Pflege gehört zu den Kernaufgaben des Sozialstaates. Ein unzureichendes Pflegeangebot zwingt – vor allem Frauen – zur vollständigen bzw. teilweisen Aufgabe der Berufstätigkeit, was sich negativ auf den Erwerbsverlauf und damit die soziale Absicherung auswirkt und in die soziale Isolation führen kann. Um die notwendige Pflege sowohl im gewohnten Umfeld der Betroffenen als auch im stationären Bereich zu gewährleisten, sind mehr gut ausgebildetes Pflegepersonal und bundesweit einheitliche, qualitativ hochwertige Standards notwendig. Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass sich die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung für das Pflegepersonal massiv verbessern, Pflege aber leistbar ist. Die Pflegevorsorge darf nicht gewinnorientierten Konzernen überlassen werden.
Unsere Forderungen:
- Einen dauerhaft eingerichteten bundesweiten Pflege- und Betreuungsfonds, der vorrangig aus einer Vermögenssteuer und einer Erbschaftssteuer gespeist wird. Er soll die Finanzierung der Pflege und Betreuung nachhaltig sicherstellen und die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals (höhere Entlohnung und bessere Arbeitszeiten) wesentlich verbessern.
- Den bundesweiten Ausbau von bedarfsorientierten und leistbaren Pflegeeinrichtungen, also Pflegeheimen, Tageszentren und betreutem Wohnen.
- Wegfall der Voraussetzung des gemeinsamen Haushaltes für zu pflegende Eltern im Krankheitsfall, ebenso bei der Familienhospizkarenz.
Verkehr
Mobilität ist ein Grundbedürfnis. Jeden Tag legen wir unterschiedliche Wege zurück – von der Wohnung zum Arbeitsplatz, zu Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen oder auch zB die Erledigung des Einkaufs. Der öffentliche Verkehr muss leistbar sein und Mobilität für alle gewährleistet werden. Die Menschen im städtischen und im ländlichen Bereich müssen gleiche Möglichkeiten vorfinden.
Daher fordern wir:
- Massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes, insbesondere mit Schwerpunkt auf den ländlichen Raum.
- Einführung eines flächendeckenden Taktverkehrs.
- Sicherstellung der Leistbarkeit von Pendler:innenbewegungen.
12.3. Armutsbekämpfung
Armut bedeutet nicht nur, zu wenig Geld für die täglichen Ausgaben zur Verfügung zu haben und am Ende des Monats die Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Armut bedeutet auch einen Ausschluss von der gesellschaftlichen Teilhabe. Armut bedeutet, nichts mit Freund:innen machen zu können, immer wieder beschämt absagen zu müssen. Armut bedeutet, das Kind kann kein Geschenk zur Geburtstagsfeier einer Freundin mitbringen und nicht am Schulausflug teilnehmen. Armut ist oft unsichtbar. Armut macht krank. Und Armut wird (so wie Vermögen) vererbt.
In Österreich sind vor allem Frauen und Kinder von Armut betroffen. Aktuell sind rund 368.000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Das ist jedes fünfte Kind! Besonders häufig trifft Armut auch alleinstehende Frauen mit einer niedrigen Pension und Langzeitarbeitslose. In Zeiten der massiven Inflation kann Armut allerdings uns alle schnell treffen. So nimmt zB der Anteil jener Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können, also den sogenannten „Working Poor“, zu.
Das letzte Auffangnetz, das dann greift, wenn alle Stricke reißen, ist die Mindestsicherung. Sie soll das Abrutschen in manifeste Armut und in Obdachlosigkeit verhindern – eine Maßnahme, die wir in einer fortschrittlichen Gesellschaft nicht nur zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens, sondern allein schon aus menschlichen Gründen für unverzichtbar halten.
Die Mindestsicherung wurde in den vergangenen Jahren jedoch massiv Spielball fremdenfeindlicher Hetze und Hetze gegen die Ärmsten der Armen. Durch solche Stimmungsmache soll der allgemeine Trend von Kürzungen im Sozialbereich legitimiert werden. Die wenigsten Menschen leben gerne von Sozialleistungen, dennoch müssen sich die Bezieher:innen oft den Vorwurf gefallen lassen, in der „sozialen Hängematte zu liegen“ – eine Diskussion voller Vorurteile, die die Betroffenen zusätzlich stigmatisiert und beschämt.
Wichtig!
Das beste Mittel gegen Armut sind existenzsichernde Einkommen und jährliche, nachhaltige Lohnabschlüsse, ein armutsfestes Pensionssystem, eine gut ausgebaute öffentliche Infrastruktur und sozialstaatliche Transferleistungen, die in schwierigen Lebenssituationen eingreifen, aber auch umverteilen. Denn wir verstehen zB die zusätzliche finanzielle Belastung durch Kinder nicht als Problem der Einzelnen, sondern als gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Danach richten wir unsere Forderungen und Vorhaben in diesem Arbeitsprogramm aus.
Darüber hinaus fordern wir zur akuten Bekämpfung von Armut in Österreich:
- Höhere und bundesweit einheitliche Familienrichtsätze in der Mindestsicherung.
- Einführung einer Energiegrundsicherung und eine Kindergrundsicherung.
- Leistbaren Wohnraum ohne Eigenmittelleistung, massive Ausweitung des sozialen Wohnbaus und Stopp der schleichenden Privatisierung durch Verkauf der Wohnungen.
- Anhebung der Ausgleichszulagenrichtsätze auf die Werte der offiziellen Armutsgefährdungsgrenze als ein Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut.
Kein Rütteln am bestehenden System der Notstandshilfe. Ein österreichisches Hartz IV konnten wir bis dato verhindern und werden weiterhin mit aller Kraft dagegen kämpfen!